Ikone von Mariä Verkündigung und entsprechendem Oklad
Predigt,  Religion

Mariä Empfängnis
Was genau feiern wir da schon wieder?

Würde man eine Liste der kirchlichen Feste mit den schwierigsten Namen erstellen, wäre das heutige Fest vermutlich ganz oben mit dabei: Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria. Gleich drei der vier Mariendogmen in der katholischen Kirche tauchen da im Titel auf: die Jungfräulichkeit Mariens, die Tatsache, dass Maria die Gottesgebärerin ist und eben der Anlass des Festes: dass Maria von der Erbsünde befreit ist. Puh!

Wohlgemerkt feiern wir nicht die Empfängnis – oder moderner gesagt: die Zeugung – Jesu in Maria. Auch wenn das Evangelium dies nahelegt, wäre das 17 Tage vor Weihnachten ja auch absurd. Vielmehr feiern wir die Zeugung Marias durch ihre Eltern, die in der Tradition als Anna und Joachim bezeichnet werden. Bei dieser ganz natürlichen Zeugung ist – so die katholische Überzeugung – die Erbsünde nicht auf Maria übergegangen.

Die biblische Grundlage für eben diese Erbsünde haben wir in der ersten Lesung gehört: der Sündenfall im Paradies. Jetzt wissen wir heute natürlich durch die Biologie und die Evolutionstheorie, dass es nicht das eine Menschenpaar gegeben hat, von dem wir alle abstammen. Folglich gibt es auch keine Erbfolge, die direkt auf diese Geschichte zurückgeht und damit auch keine vererbte Sünde im wörtlichen Sinn, wie sie Augustinus noch angenommen hat. Vielmehr versucht diese Geschichte eine Erklärung dafür zu finden, „wieso die konkrete Lebenswirklichkeit, in der wir Menschen uns vorfinden, so sehr im Kontrast dazu steht, wie der Garten Eden“[1] zuvor beschrieben worden war. Was ist der Grund für Kriege, Ungleichbehandlung von Mann und Frau, Krankheit und Elend? Darauf versucht die Erzählung eine Erklärung zu finden.

Was aber ist diese Erbsünde genau? Vielleicht spricht man statt Erbsünde besser von Ursünde oder Grundsünde. Das legt auch der lateinische Begriff peccatum originale nahe. Für mich ist es eine Grundskepsis gegenüber der Liebe Gottes zu seiner Schöpfung, ein grundsätzlicher Zweifel, dass Gott es gut mit uns meint, die Angst, dass Gott uns etwas vorenthalten möchte. Oder wie der Theologe Peter Knauer es ausdrückt, eine „fortwährende Angst um sich selbst“.

Von dieser Ursünde sind wir durch die Taufe befreit. Das bedeutet aber nicht, dass dieser Zweifel und diese Angst nicht immer wieder hochkommen würden. Jedenfalls kann ich das von mir nicht behaupten. Dennoch haben wir grundsätzlich die Möglichkeit, frei von dieser Angst zu leben.

Wie ist es aber jetzt mit Maria? Gott hat Maria als Mutter seines Sohnes auserwählt und ihr daher die Gnade geschenkt, auch ohne die Taufe frei von dieser Grundangst zu sein. Sie ist aber in allem ein ganz normaler Mensch wie wir. Die Angst um sich selbst hätte also immer wieder hochkommen können. Es ist der Gnade Gottes und dem freien Willen Mariens zu verdanken, dass es nicht so kam.

Dafür ist das Evangelium ein gutes Beispiel. Wie müssen wir uns die Szene vorstellen. Da sitzt ein junges Mädchen, gerade in der Pubertät, und erhält Besuch von einem Engel. Natürlich erschreckt sie, wie sollte es auch anders sein. Und dann sagt der ihr auch noch, dass sie schwanger werden soll. Angst könnte sich jetzt breitmachen, Todesangst sogar: ein uneheliches Kind, obwohl sie verlobt ist, wäre ein Grund zur Steinigung. Maria ist nicht naiv und fragt daher selbstbewusst zurück, wie das gehen soll. Als der Engel ihr das dann erläutert, ist jeder Zweifel und jede Angst weg: „Einverstanden!“, sagt sie in aller Freiheit und macht so den Weg frei für die Erlösung der Welt.

Maria ist ein Vorbild: nicht in ihrer Keuschheit, nicht in ihrer Demut. Das darf alles sein. Aber ein Vorbild ist sie für mich wegen ihrer Entschiedenheit. Ein Vorbild ist sie, weil sie mutig „Ja“ sagt. Ein Vorbild kann sie für uns sein, wenn wir genau wie sie keine Angst haben, dass Gott uns im Leben etwas vorenthalten möchte.

Gen 3, 9–15.20 | Eph 1, 3–6.11–12 | Lk 1, 26–38


[1] Martin Lintner, Christliche Beziehungsethik. Historische Entwicklungen, biblische Grundlagen, gegenwärtige Perspektiven, Freiburg 2023, S. 263.

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert