Ausschnitt einer Ikone; Rechts Christus und links Abbas Menas; beide schauen den Betrachter an. Christus hat den Arm um den Abbas gelegt
Predigt,  Religion

2. Adventssonntag
Mit Jesus auf mein Leben schauen

Das Original einer recht bekannten Ikone ist im Louvre ausgestellt. Einen Nachdruck davon gibt es in der Versöhnungskirche in Taizé und an zahlreichen anderen Orten. Ihr Titel: „Christus und Abbas Menas“ oder auch „Jesus und sein Freund“ oder „Ikone der Freundschaft“. Sie zeigt einen gewissen Abt Menas neben Christus. Beide schauen dem Betrachter frontal in die Augen, sie blicken also in dieselbe Richtung. Jesus trägt in der linken Hand ein Evangeliar, die rechte Hand hat er freundschaftlich auf die Schulter des Abtes gelegt.

Seit einigen Jahren begegnet mir diese Ikone immer mal wieder und ich kann wohl sagen, dass sie mein Bild von Christus auch geprägt hat. Jesus als derjenige, der einem als Freund den Rücken stärkt, der mit einem nach vorne schaut und einen manchmal auch in die richtige Richtung schiebt.

Im Evangelium begegnen wir Jesus heute nur indirekt, indem sein Kommen von Johannes dem Täufer angekündigt wird. Johannes ist neben Maria eine der zentralen Gestalten des Adventes. Er hat Jesus als den Messias erkannt und möchte diesem den Weg bereiten. Die Leute kommen aber aus einem anderen Grund zu ihm – und zwar in Scharen: sie bekennen ihre Sünden und lassen sich taufen in der Hoffnung darauf, dass ihnen die Sünden vergeben werden. Auch wenn es vielleicht nicht „ganz Judäa und alle Einwohner Jerusalems“ gewesen sind, wie der Evangelist Markus behauptet, dürfte es ein Herzensanliegen vieler Menschen gewesen sein, das zu tun.

Mich selbst mit meinen Fehlern und Unzulänglichkeiten konfrontieren: Wie ungern tue ich das doch! Vielleicht auch, weil heute gefühlt alles immer perfekt sein muss: der perfekte Lebenslauf, die perfekte Beziehung, das perfekte Dinner, das perfekte Instagram-Profil. Vielen, gerade jungen Leuten, macht das zu schaffen, weil sei feststellen: so perfekt wie die anderen bin ich nicht. Können sie auch nicht sein, weil Vieles davon eben nur Fassade ist, nur Schein.

Dabei kann es guttun, ganz bewusst auf seine Schwächen zu blicken. Nicht, um sich schlecht zu fühlen, sondern um sich besser zu verstehen. Der ungeschönte Blick auf sich selbst und die dunklen Ecken seiner Seele können schmerzhaft sein.

Da kann es helfen, eine gute Freundin oder Freund zu haben, dem ich mich öffnen kann. Und da bin ich wieder bei der Ikone, die ich anfangs erwähnt habe. Die Freundin, die mich mal auf eine Macke ungeschönt hinweist; auch auf die Gefahr hin, dass ich erstmal eingeschnappt bin. Der Freund, der mir bestärkend den Rücken stützt und mich aufrichtet, statt mich auszulachen, wenn ich über meine Schwächen rede. Überhaupt: reden. Es gehört viel Mut dazu, sich nicht nur innerlich einen Fehler bewusst zu machen, sondern auch noch darüber zu reden. Das ist mit Scham verbunden. Dafür muss ich jemandem vertrauen können.

Ob es den Menschen, die zu Johannes kamen, genauso ging? Und wie haben sie ihre Sünden bekannt? Etwa öffentlich?

Da bin ich schon froh, dass die Beichte heute ganz privat ist und das Beichtgeheimnis absolut gilt. Auch so ein Ort, wo ich meine Fehler offen ansprechen kann. Oft zögere ich lange, wieder zu beichten, und der Weg dahin ist auch nicht sonderlich fröhlich. Hinterher fühle ich mich dann je nach Situation aber mehr oder weniger befreit.

Ist aber die Beichte nicht etwas aus der Zeit gefallen? Kann ich das nicht direkt mit meinem Herrgott ausmachen? Ohne Frage wurde die Beichte oft genutzt, um Macht auszuüben, bis hin zu sexualisierter Gewalt auch dort. Und wahrscheinlich passiert das auch heute noch. Grund genug, um kritisch hinzuschauen.

Dennoch bin ich überzeugt, dass es so einen Ort braucht, an dem ich meine Fehler ungeschönt aussprechen kann und nicht nur mit mir herumtrage.

Meine Fehler, aber auch Sorgen und Ängste, die mich belasten. Denn wenn Johannes uns auffordert, dem Herrn den Weg zu bereiten, dann geht es vor allem darum: zu schauen, was mich gerade daran hindert, weil Anderes in meinem Kopf mehr Platz einnimmt. Menschen berichten in Beichtgesprächen immer wieder von Schicksalsschlägen, von Zweifel und Verzweiflung, vom Ringen mit Gott. In den wenigen Monaten hat mich das mehr als einmal sehr beschäftigt, um nicht zu sagen: zum Heulen gebracht.

Deswegen ist mir dieses Bild so wichtig: Gott legt einem in der Beichte die Hand auf die Schulter und sieht die Fehler und Zweifel – sonst wäre er nicht gerecht. Aber er sagt eben auch: „Komm, wir fangen wieder von vorne an!“ Das ist seine Barmherzigkeit. Wenn wir dem Herrn den Weg bereiten sollen, dann muss der Weg nicht blitzeblank sein, es darf ruhig ein bisschen Staub und Dreck rumliegen. Aber der Weg muss sichtbar sein und er muss begehbar sein. Ich glaube das genügt dem Herrn, damit er den Weg auch entlanggeht – Schulter an Schulter mit uns.

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