Regen auf Fensterschreibe
Predigt

22. Sonntag im Jahreskreis C
Geerdet durch Gottes Schöpfung

Regentropfen faszinieren mich. Mich beruhigt das Geräusch der Tropfen auf den Bäumen, auf einer Wasseroberfläche oder das Gefühl auf meiner Haut.

Regentropfen machen mich demütig, denn mich merke: fast alles in der Natur geschieht ohne mein Eingreifen. Dadurch fühle ich mich aber nicht klein, sondern ich spüre: ich bin Teil der Schöpfung.

Demut hat für mich nichts mit Unterwerfung zu tun, mit Demütigung, mit dem Verlust meiner Würde. Im Gegenteil!

Den eigentlichen Sinn verdeutlicht das lateinische Wort für Demut: humilitas. Darin steckt das Wort humus: Erde. Demut lässt mich mit beiden Beiden auf dem Boden stehen, sie erdet mich.

Demut verhindert, dass ich nach immer Höherem strebe und nach den Sternen greife. Sie hilft mir, Grenzen zu akzeptieren: mein eigenen und die der Umwelt. Ausbleibende Regentropfen, Dürre! Ich bin eben auch Teil einer Natur, die unter dem Eingriff des Menschen leidet.

Am 28. Juli war Earth Overshoot Day (Welterschöpfungstag). Das ist der Tag, an dem die Menschheit die Ressourcen aufgebraucht hat, die die Erde in einem Jahr produziert. Seitdem leben wir also auf Kosten der nachfolgenden Generationen. Seit Jahrzehnten wandert der Tag immer weiter nach vorne.

Für mich heißt das: ich muss mein Verhalten ändern – beim Essen, beim Reisen und beim Konsum. Auf was kann ich nicht verzichten? Woran hängt mein Herz? Was kann ich schweren Herzens loslassen? Das kann ich als Einschränkung wahrnehmen – oder als Befreiung von unnötigem Ballast, wenn ich nicht immer den neuesten Handymodellen nachjagen muss. Bescheidenheit: Ausprägung von Demut.

Gleichzeitig ist klar: nicht alle können auf Luxus verzichten. Ganz einfach, weil sie nicht im Luxus leben, sondern gerade mal das Nötigste haben.

Deswegen muss ich auch auf Menschen Rücksicht nehmen, die auf Hilfe angewiesen sind. Jesus fordert uns im Lukasevangelium (vgl. Lk 14,13) dazu auf, statt der Freund:innen Menschen einzuladen, die vom Leben gezeichnet sind, die schlechtere Ausgangsbedingungen hatten als wir.

Einerseits geht es Jesus darum, die akute Not zu lindern.

Zusätzlich bietet so eine Begegnung eine Chance für uns: Wir können unsere Situation dadurch neu Bewerten, unsere Perspektive verändern. Zu staunen über die Bemühungen einer alleinerziehenden Mutter, ihrem Kind mit wenig Geld ein glückliches Leben zu ermöglichen; zu staunen über die Zufriedenheit in vielen Regionen der Welt auch ohne unseren Lebensstandard – das kann mir helfen, mich selbst wieder zu erden. Demut zu erfahren.

Das kann in mir auch die Sehnsucht nach mehr Gerechtigkeit wecken, weil ich erkenne, wie groß das Geschenk ist, was ich erhalten habe. Diese Gerechtigkeit können wir freilich nicht aus eigener Kraft bewirken. Zur Demut gehört auch wahrzunehmen, dass wir nicht allmächtig sind, dass uns manches misslingt. Wir sind angewiesen auf einen Gott, der uns unterstützt in unserem Tun. Wir sind angewiesen auf einen Gott, der uns die Situation neu bewerten lässt. Wir sind angewiesen auf einen Gott, der uns immer wieder erdet.

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