
26. Sonntag im Jahreskreis C
Sich einen Namen machen
Vor zwei Wochen hat mich abends in Aachen ein obdachloser Mann angesprochen. Ich war schon an ihm vorbei gegangen, als ich mich noch einmal umgedreht habe, weil er wirklich verzweifelt wirkte. Er erzählte mir dann, dass ihm das Geld fehle, einen Personalausweis zu beantragen. Und ohne den könne er sich keine Wohnung suchen. Schnell ist mir bewusst geworden, dass ich mich noch nie mit dieser Frage beschäftigt hatte, und spontan fielen mir auch keine anderen Vorschläge ein, als ihm Hilfseinrichtungen zu nennen, die mit ihm das Problem angehen könnten.
Mehr oder weniger ergebnislos verabschiedete ich mich von ihm, gab ihm etwas unbeholfen ein bisschen Geld und ein paar gute Worte mit auf den Weg. Insgesamt fühlte ich mich damit nicht besonders wohl.
Die Begegnung hat mich danach weiter beschäftigt. Mir ist bewusst geworden: ohne dieses Dokument ist der Mann für Behörden ein Unbekannter – ein Namenloser für die Gesellschaft und für uns.
Ob der reiche Mann aus dem heutigen Evangelium wusste, dass der Mann vor seiner Haustür Lazarus heißt? Jedenfalls muss er ihm regelmäßig begegnet sein auf seinem Weg in die Stadt. Ich stelle mir vor, dass er auch schon einmal über ihn drübersteigen musste, wenn er vor seiner Eingangstür lag. Ansonsten hat er ihn aber offenbar ignoriert. So hören wir es in der Erzählung.
Gott hingegen hat ihn nicht ignoriert. Er hat diesen armen, von Geschwüren übersäten Mann wahrgenommen und ihm einen Namen gegeben. Ein Name macht einen Menschen erst zu einer Person, zu einem Individuum. Menschen werden durch ihren Namen ansprechbar, sie werden einzigartig. Nicht umsonst machen sich Eltern bei der Namenswahl ihrer Kinder eine ganze Menge Gedanken. Und der Namenstag spielt bei uns Katholik:innen – wenn auch weniger als früher – eine Rolle, weil wir damit ganz konkret einen Heiligen mit demselben Namen als Vorbild für unser Handeln in Verbindung bringen können.
Im Alten Testament spielen Namen auch eine wichtige Rolle. Angefangen bei den Schöpfungserzählungen, wo jedem Geschöpf ein Name gegeben wird.
Im Buch Jesaja verspricht Gott allen, die zu ihm kommen, ein Denkmal zu setzen und ihnen einen Namen zu geben. Denkmal und Name heißt im Hebräischen Jad Wa-Schem. Genauso ist die Gedenkstätte zur Schoa, zum Holocaust, benannt: Mit menschlicher Hilfe gibt Gott dort denen einen Namen, die Nationalsozialisten aus der Geschichte austilgen wollten. Jad Wa-Schem macht deutlich: Gott vergisst euch nicht – ganz im Gegenteil.
Schaut man in das heutige Evangelium, fällt auf: Nur der arme Lazarus hat einen Namen, der Reiche bleibt namenlos. All die vielen Feste, die er gefeiert hat, all die Freund:innen, die er im Leben um sich geschart hat, haben nicht dazu geführt, dass er sich einen Namen machen konnte. Er muss in die Unterwelt hinab, weit entfernt von Gott. Lazarus hingegen hat sich bei Gott einen Namen gemacht.
Der Gott, wie ihn die Heilige Schrift versteht, ist ein parteiischer Gott. Er steht auf der Seite der Leidenden, ist schwach mit den Schwachen.
Damit ist zwar nicht gemeint, dass Armut per se erstrebenswert ist, es macht aber deutlich: Gott steht grundsätzlich auf der Seite der Schwachen. Der Gott, wie ihn die Heilige Schrift versteht, ist ein parteiischer Gott. Er steht auf der Seite der Leidenden, ist schwach mit den Schwachen. Das wird auch und gerade in Jesus Christus deutlich, der für uns arm geworden ist.
Und der Reiche? Er verliert den Reichtum nicht deswegen, weil er reich ist, sondern weil er diesem Reichtum alles unterordnet: seinen Lebenswandel, seine Beziehung zu anderen Menschen und sein Verhältnis zu Gott. Ihn interessiert nicht das Schicksal der anderen Menschen, deswegen ist Gott für ihn nach seinem Tod in unerreichbare Ferne gerückt.
Darin wird deutlich: Unser Verhalten hat Auswirkungen auf die Zukunft. Es ist nicht bedeutungslos, wie wir handeln. Und der Reiche hätte es wissen können, wenn er, wie vorgeschlagen, auf Mose und die Propheten gehört hätte. Also etwa auf den Propheten Amos, den wir in der ersten Lesung gehört hatten.
Dieser Amos ist einer der ältesten überlieferten Propheten Israels und bekannt für seine Kritik an der Oberschicht. Er hat seine Mitmenschen davor gewarnt, so weiterzuleben wie bisher: Wenn ihr weiterhin so prasst, in Betten aus Elfenbein liegt, wenn ihr immer nur Party macht, wenn ihr Wein aus Opferschalen trinkt, dann müsst ihr bald in die Verbannung ziehen.
Mit dieser Warnung ist Amos jedoch auf taube Ohren gestoßen. Und das war verheerend für seine Landsleute: Im Jahr 732 v. Chr. eroberte das Assyrische Reich den Nordteil Israels, das von da an keine Rolle mehr in der Geschichte spielt.
Die Propheten-Worte sollten eigentlich Warnung genug für den Reichen sein. Und dennoch folgt auch er nicht den Warnungen und verliert seinen Reichtum mitsamt seinem Namen, während Lazarus sich mit seinem Schicksal einen Namen macht. Das kann auch uns vor die Frage stellen: Womit will ich einmal in Verbindung gebracht werden? Welche Talente kann ich einbringen? Welche Warnungen müsste ich wahrnehmen? Womit möchte ich mir einen Namen machen – bei den Menschen und bei Gott?

